Vielleicht erkennen Sie sich ja in dem ein oder anderen Verhalten wieder, vielleicht kommen Ihnen einige Gedanken und Handlungsweisen bekannt vor. Ich für meinen Teil kenne die Thematik mit Schokolade bei Stress ganz gut – was ich aber glücklicherweise schnell wieder in den Griff bekommen habe.
Nicht jeder schafft es aus eigener Hilfe einen für sich guten Weg zu finden. Auch muss er nicht unbedingt über so viele Jahre gegangen werden.
Wichtig ist, dass es ein Weg mit vielen kleinen gangbaren Schritten ist und dass Sie jemanden haben, dem Sie vertrauen und der Sie begleiten darf. Vereinbaren Sie gerne einen persönlichen Kennenlerntermin mit mir – ich freue mich auf Sie!
Und nun viel Spaß mit Iris Hell!
Der Stress mit dem Essen
Artikel von Iris Hell, verheiratete Mutter von vier Töchtern (9, 7, 5, 5), Juristin, Betriebswirtin, Autorin (Romane: Kleckerlätzchen für Anfänger & Kleckerlätzchen für Fortgeschrittene), Bloggerin ( Blog: Familienzeit in Buchstaben, https://irishell.de ).
Viele Jahre war Essen ein großes Thema für mich. Groß im Sinne von problembehaftet. Es war das Essen selbst, das Stress verursachte.
Wann begann der Stress mit dem Essen?
Bis zum Alter von zwölf Jahren, bis zu dem Zeitpunkt, als ich aufhörte zu wachsen, lief es ohne Probleme. Ich war zwar keine Bohnenstange, aber alles andere als dick. Sehe ich die Fotos von damals, wünsche ich mir die alten Maße zurück. Bei 1,61 cm Körpergröße wog ich fünfzig Kilo. Mein Body-Mass-Index (BMI) betrug 19,29, ich hatte Normalgewicht im unteren Bereich, sprich näher am leichten Untergewicht als am Übergewicht. Die Größe blieb unverändert, das Gewicht nicht.
Mein Essverhalten war in Ordnung. Hatte ich Hunger, aß ich, wenn nicht, dann nicht. Über den Hunger hinaus oder aus anderen Gründen als Hunger aß ich damals nicht. Hätte ich dies beibehalten, wären mir die zwanzig Kilo in den kommenden Jahren wohl erspart geblieben. Aus rückblickend nicht mehr nachvollziehbaren Gründen (gab es überhaupt welche?) bildete ich mir ein, mein objektiv nicht zu beanstandender Körper sei zu dick. Und dagegen wollte ich vorgehen.
Ab da begann das Dilemma.
Versuch 1: Eine Diät. Und noch eine. Und noch eine …
Den Startschuss für den künftigen Gewichtsverlauf (Tendenz steigend mit kurzzeitig sinkenden Werten) gab eine Diät. Wie zu erwarten führte die abrupte Kaloriendrosselung zur Gewichtsabnahme, allerdings nicht von Dauer. Denn wie ebenfalls zu erwarten, holte sich der Körper nach Ende der kargen Diätzeit das zurück, was er verloren hatte: die verlorenen Pfunde. Und zur Sicherheit noch ein paar dazu. Wer wusste schon, wann die nächste Energieflaute drohte? Die Weichen für den berühmt berüchtigten Jo-Jo-Effekt waren gestellt.
Obwohl ich von diesem Effekt gehört hatte, ging ich fest davon aus, nicht davon betroffen zu werden. Es folgten demnach die unterschiedlichsten Diäten. Ananas-, Saft-, Spargel-, Kohl-, Annette-Uschi-Hilde-Diät und was weiß ich, wie sie alle hießen. Jedes Mal derselbe Effekt: ein bis drei Kilo runter – zwei bis sechs Kilo rauf. Auch Pülverchen aus der Apotheke konnten das nicht verhindern. Und irgendwann ließ ich die Diäten sein.
Versuch 2: Kalorienzählen
Eine andere Form der Gewichtsbekämpfung musste her: das Kalorienzählen. Sämtliche Nährwerte der von mir verdrückten Lebensmittel wusste ich auswendig.
Da das Zählen allein logischerweise nicht die Pfunde purzeln lässt, sondern im schlimmsten Fall lediglich Wissen schafft, woher die Pfunde stammen, war ein zusätzlich Korrektiv notwendig: die tägliche Obergrenze der Energiezufuhr. Je nach Gusto variierte diese bei mir zwischen tausend und 1800 Kalorien. Wem sich die Frage nach der Herkunft dieser Spanne aufdrängt, muss ich die Antwort schuldig bleiben. Ich weiß es nicht mehr.
Meinem Ziel – durch Beschränkung auf eine bestimmte Energiezufuhr pro Tag das Gewicht zu reduzieren – kam ich freilich keinen Schritt näher, denn ich beschiss mich selbst, wo es nur ging. Setzte ich mir zum Beispiel ein Tageslimit von 1500 Kalorien, fraß (jeder andere Begriff wäre untertrieben) ich dennoch wie ein Scheunendrescher, ohne in meiner Berechnung den festgesetzten Wert zu überschreiten.
In meiner manipulierten Welt des Kalorienzählens hatte ein Naturjoghurt (200 g) mit einem Esslöffel Haferflocken einen Nährwert von elf (in Zahlen: 11) Kalorien. Wie ich mir diese Zahl zusammenschusterte, war wahrscheinlich schon seinerzeit schleierhaft, denn die Realität sah damals wie heute anders aus: ungefähr 170 Kalorien.
Abgesehen von der völligen Ineffizienz, mit Fake-Werten zu jonglieren, strengte die dauernde Rechnerei gedanklich an. Denn egal, ob ich aß oder nicht: Immer und immer wieder kreisten meine Gedanken um das leidige Thema Essen.
Versuch 3: „Intervallfasten 1987“
Wer mir den folgenden Floh ins Ohr gesetzt hatte, erinnere ich nicht mehr. Natürlich erwies sich auch dieser Weg als kontraproduktiv. Ich begann, Mahlzeiten auszulassen. Heute ist diese Variante als Intervallfasten bekannt. Über einen Zeitraum von zum Beispiel acht Stunden darf normal gegessen werden, sodann folgen sechzehn Stunden des „Fastens“.
Wenn man es richtig anstellt, führt die Methode vielleicht zum Erfolg. In meinem Fall natürlich nicht. Und ich wage zu behaupten: Mein Konzept war alles andere als gesund.
„Intervallfasten 1987“, kreiert von Iris Hell, sah in seinen Anfängen vor, das Abendessen auszulassen. Hätte ich mich daran gehalten, außerhalb der „Fastenzeit“ normal zu essen, hätte ich vielleicht eine Chance gehabt. Doch ich legte den schwammigen Begriff „normal“ äußerst großzügig aus und haute rein, als gäbe es kein Morgen. Schließlich musste ich – so meine verquere Denke – den Ausfall einer Mahlzeit kompensieren.
Mangels Effekt verlängerte ich die essensfreie Zeit: Der Zeitpunkt der letzten Mahlzeit des Tages verschob sich immer weiter nach vorne. Zum Schluss war ich um zehn Uhr (a.m.) angelangt. Mit anderen Worten: Bis zehn Uhr vormittags musste ich so viel zu mir genommen haben, dass ich die Zeit bis zum nächsten Morgen durchstehen würde. Wie sich das seltsame Essgebaren mit meinem schulischen Alltag verbinden ließ, weiß ich nicht mehr.
In den wenigen Essensstunden war ich ausschließlich mit essen beschäftigt. Ich schlang rein, was ich finden konnte. Ich musste nachessen, voressen, Frühstück, Mittag- und Abendessen auf einmal zu mir nehmen. Allein beim Gedanken an das damalige Martyrium schmerzt mein Magen. Dass so viel auf einmal nicht gut sein konnte, signalisierte mein Körper natürlich deutlich. Nur zu gern wäre ich das Übervöllegefühl wieder losgeworden. Natürlich spielte ich mit der gleichsam grotesken Idee, das Überschüssige wieder loszuwerden und mich zu übergeben. Vor Bulimie bewahrte mich das Unvermögen, mich auf Befehl zu übergeben.
Nur am Rande sei erwähnt, dass es an ausreichend Bewegung bei mir nie gefehlt hat. Bereits als Kind, später als Teenager ging ich zwei- bis fünfmal die Woche zum Sport, sprich ins Tanztraining oder zum Schwimmen und fuhr alle erdenklichen Strecken mit dem Rad.
Schokolade macht glücklich?
Dem Intervallfasten folgte Resignation. Für meine Unfähigkeit, das Essen in den Griff zu bekommen, hasste ich mich. Ich war eine sehr gute Schülerin, das meiste, was ich anpackte, gelang mir gut, doch beim leidigen Thema Essen war ich seit Jahren zum Scheitern verdammt. Das Essen war mein Feind geworden. Gleichzeitig war Essen über zehn Jahre, im Alter zwischen zwölf und 22, mein Seelentröster, mein Mittel gegen jegliche Verstimmung, gegen Einsamkeit, gegen Traurigkeit, gegen Stress. In manchen Tagen lebte ich mehr in der Vorstellung als in der Realität, erträumte meine eigene Realität. Wie bei jedem Durchschnittsteenager auch hatte meine Launenhaftigkeit keinen konkreten Anlass. Über die Jahre war mein Leben geprägt von einem diffusen Weltschmerz. Und diesen Weltschmerz versuchte ich mit Essen in den beschriebenen Varianten zu lindern.
Essen war eine eigene Beschäftigung. Andere trafen sich an Wochenenden mit Freunden, gingen ins Kino, auf eine Party. Ich aß. Als Abendbeschäftigung. Als Nachmittagsbeschäftigung.
Meine Bestleistung in Gewichtszunahme erzielte ich mit siebzehn Jahren. Zehn Kilo in zehn Tagen. Ich nahm tatsächlich pro Tag ein Kilo zu. Mein armer Körper. Meine arme Seele.
Warum nahm ich zu? Natürlich weil ich aß. Warum aß ich? Brauchte ich einen Grund? Was aß ich? Schokolade. Zusätzlich zu meinen eher üppigen denn bescheidenen Tagesrationen an Nahrung verdrückte ich den besagten Zeitraum von zehn Tagen pro Tag eine bis drei Tafeln Schokolade. Aus Jux und Dollerei. Am Ende der zehn Kilo befand ich, vorerst genug Schokolade zu mir genommen zu haben. Denn glücklich hatte sie mich definitiv nicht gemacht, nur dick.
Ein erster Meilenstein auf dem Weg zurück
Tatsächlich schaffte ich es, mein Übergewicht in den folgenden Jahren zu halten. Das erste Mal seit Jahren verharrte die Nadel auf der Waage konstant bei der derselben Zahl. Damals empfand ich das nicht als Meilenstein, doch es schadet nie, das Positive einer Situation zu sehen: Immerhin war der Weg nach oben beendet.
Weg mit den Pfunden
Einen eklatanten Gewichtsverlust in den zehn Jahren meiner Esserkarriere bescherte mir in doppelter Hinsicht Andreas. Mein erster Freund. In der Phase der großen Verliebtheit konnte ich mein Glück nicht fassen und brachte fast keinen Bissen runter. Nach vier Monaten befand mein Angebeteter, dass es besser sei, fortan getrennte Wege zu gehen. Dank Liebeskummer mochte ich wieder nichts essen, sodass zumindest mein Körper von der Misere profitierte.
Als der Schmerz überwunden war, holte sich der Körper die verlorenen Pfunde bis zum Ursprungsgewicht zurück. Zumindest hatte mir die emotionale Erfahrung gezeigt, dass ich nicht zwingend zum Esser geboren war und mein Körper durchaus mit weniger Nahrung als permanenten XXL-Portionen auskommen konnte.
Mit weniger ging es auch
Die Essenskurve gekriegt habe ich mit Mitte zwanzig. Ohne Diät, ohne Intervallfasten, ohne emotionale Ausnahmesituationen. Wie? Indem ich auf meinen Körper hörte, mich bei jedem Bissen fragte, ob ein weiterer Teller Spaghetti wirklich, wirklich gegessen werden wollte. Oder ob nicht ein anderer Grund dahintersteckte. Ab diesem Zeitpunkt aß ich nicht mehr aus Langeweile, Gewohnheit, Einsamkeit, sondern weil ich Hunger hatte, und auch nur dann und meistens auch nicht darüber hinaus.
Und siehe da: Mit dieser Methode purzelten die Pfunde. Langsam, aber stetig verlor ich über Monate zehn Kilo. Ohne mich zu quälen, ohne mich zu kasteien. Ich verbot mir nichts, denn erfahrungsgemäß führten und führen Verbote bei mir dazu, dass ich das Verbotene erst recht möchte. Der Unterschied zu früher lag in der Menge: Anstatt einer ganzen Tafel Schokolade (oder zwei oder drei) genügte eine Reihe oder nur ein Stück.
Und heute?
Seit zwanzig Jahren ist mein Gewicht nahezu unverändert geblieben. Selbst die drei Schwangerschaften, auch die mit den Zwillingen habe ich gewichtsmäßig wider Erwarten gut verkraftet, von feindlichen Fressattacken blieb ich verschont.
Heute mit Ü40, als vierfache Mutter, wage ich zu behaupten, dass ich das Essen im Griff habe, nicht das Essen mich. Nach wie vor esse ich gern und natürlich haben sich Angewohnheiten eingeschlichen, die wohl nicht mit gängigen Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft übereinstimmen. So esse ich gerne nebenbei, ebenso zwischendurch mal kurz im Vorbeigehen, und das Abendessen findet aus diversen Gründen spät, wahrscheinlich zu spät, statt. Ganz tragisch scheint mein Verhalten nicht zu sein, denn auch heute befinde ich mich laut BMI im Bereich des Normalgewichts, allerdings am oberen Rand, näher am Über- als am Untergewicht. Das sehe ich mir selbst nach. Ich bin wie ich bin. Und das ist gut so.