von Sina Schwenninger
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17. Mai 2021
Liebe Leser*innen, Wer hat die letzten Monate nicht als extrem belastend empfunden – sei es die Sorge um den Arbeitsplatz, die vielen Einschränkungen und Entbehrungen aber auch die massiv gestiegene Arbeitsbelastung – vor allem von Familien. Leider kehrt dadurch bei vielen eine bereits überwundene Depression zurück. Auch stehen viele kurz vor dem Burnout, wissen aber meist noch gar nicht, wie nahe am Abgrund sie stehen! Deshalb habe ich meinen heutigen Newsletter dem Thema Burnout/ Depression gewidmet und freue mich ganz besonders, dass ich Norbert Hüge, Gründer und Inhaber der MILD Akademie zu diesem so wichtigen und aktuellen Thema interviewen durfte. Bei Norbert habe ich übrigens vor vielen Jahren meine Ausbildung zum Coach für Stressbewältigung und Burnout Prävention gemacht – auch deshalb habe ich mich sehr gefreut, ihn wieder zu sprechen😉 Und passend zum Thema gibt es Ernährungstipps und Rezepte . Zudem ein maßgeschneidertes Coachingpaket (Meine Schritte weg von einem drohenden Burnout) – als Monatsangebot 20% günstiger! Dieses Mal wünsche ich dir ein paar ruhige Minuten, um meinen Newsletter lesen zu können und die Möglichkeit, in und auf dich zu hören! Herzliche Grüße Deine Sina „Wenn nichts mehr geht: ausgebrannt und depressiv“ – ein Interview mit Norbert Hüge, Gründer und Inhaber von MILD® (Münchner Institut für lösungsorientiertes Denken) Sina Schwenninger: Welche Zahlen und Fakten gibt es rund um das Thema Burnout und Depression hinsichtlich Häufigkeit, Altersstruktur, Häufigkeit bei Männern und Frauen, wie haben sich diese Zahlen in der Pandemie entwickelt? Norbert Hüge: Derzeit gibt es noch nicht die aktuellen Gesundheitsreports der Krankenkassen zum Jahr 2020. Von der DAK gibt es den Psychreport 2021 zur Entwicklung von psychischen Erkrankungen von 2010 zu 2020, dieser zeigt einen chronologischen Anstieg von 56%. Im gleichen Zeitraum verzeichnen andere Erkrankungen nur eine Steigerung von 21%. Von der Techniker Krankenkasse gibt es den Gesundheitsreport Arbeitsunfähigkeiten 2021. Waren es 2019 noch 5,1 AU Tage je 100 Versicherungsjahre im Zusammenhang mit der Psyche, sind es in 2019 bereits 14,4 AU Tage. In allen anderen Erkrankungsbereichen waren die Zahlen rückläufig. Bei den Krankschreibungen wegen Psychische und Verhaltensstörungen bei Männern und Frauen, zeigt sich ein paralleler Verlauf. Jedoch ist die Zahl der Krankschreibungen und AU Tagen bei Frauen höher als bei Männern. Dies liegt u.a. am unterschiedlichen Gesundheitsverständnis. Im Alltag verhalten sich Männer oft weniger gesundheitsbewusst als Frauen. Traditionelle Männerrollen verhindern eher eine Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für den eigenen Körper und begünstigen die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Männer achten weniger auf den eigenen Gesundheitszustand und nehmen seltener an Angeboten zur Gesundheitsförderung teil. Frauen geht es eher um Wohlbefinden und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauen haben gelernt, auf ihren Körper zu hören und gehen deshalb früher zum Arzt. Zur Altersstruktur kann man sagen, dass sich psychische Störungen in allen Altersklassen feststellen lassen. In Altersklassen von 35-45-Jährigen finden wir eine höhere Krankschreibung als bei den 18-28-Jährigen. Gleichzeitig gibt es bei Kindern und Jugendlichen Tendenzen mit Warnsignalen wie Hörsturz und Tinnitus. Ich bin sehr gespannt und gleichzeitig besorgt, wie sich das weiter entwickelt - Stichwort Digitalisierung und die hiermit ständige Verfügbarkeit. Sina Schwenninger: Was ist eigentlich genau eine Depression und was ein Burnout; wie hängt das zusammen oder woran erkenne ich, dass ich auf dem Weg dorthin bin? Norbert Hüge: Vorweg muss man sagen, dass Depression eine ernstzunehmende psychische Erkrankung darstellt. Burnout ist ein Krankheitsbild, was aber keine anerkannte Erkrankung ist. Derzeit wird Burnout im IDC 10 unter Z73 mit „Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ beschrieben. ICD 10 ist die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme und das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Ab 2022 wird es den IDC 11 geben. Darin beschreibt die WHO das Burnout erstmals als „Syndrom aufgrund von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird“. Es wird hier also ein klarer Bezug der WHO zum beruflichen Zusammenhang hergestellt. Dies ändert aber nichts daran, dass Burnout weiterhin keine anerkannte Krankheit ist. Deshalb vergeben Ärzte oft eine Hauptdiagnose wie Depression, Angst- oder Panikstörung oder Anpassungsstörungen zur Zusatzdiagnose Burnout. Sina Schwenninger: Kurze Zwischenfrage, gibt es denn eine Diagnose Depression ohne Burnout? Norbert Hüge: Ja klar! Depression hat nicht unbedingt etwas mit Burnout zu tun. Nicht jeder der eine Depression hat, hatte vorher ein Burnout. Umgekehrt, wenn man sich über lange Zeit überfordert und nicht handelt, läuft man Gefahr am Ende in eine Depression zu gelangen. Das ist ein schleichender Prozess in Phasen. Wer hierzu gerne genaueres wissen möchte, kann sich auf der Website den Phasenverlauf nach Dr. Freudenberger anschauen und auch einen Burnouttest machen: www.no-burnout.de Aber woran erkenne ich nun eine Depression? Wie gesagt eine Depression ist eine anerkannte und ernstzunehmende Krankheit. Es gibt verschiedene typische Symptome, die darauf hinweisen: gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit, erhöhte Ermüdbarkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, Suizidgedanken, Schlafstörungen, bis hin zu körperlichen Beschwerden. Jetzt ist es sicher so, dass jeder von uns mal antriebslos war oder Schlafstörungen hatte. Wichtig zur Unterscheidung ist, dass viele dieser Symptome anhaltend über mindestens zwei Wochen vorliegen müssen, um von einer leichten, mittelgradigen oder schweren Depression sprechen zu können. Dann sollte man dringend einen Arzt aufsuchen und dies abklären lassen. Eine Depression kann übrigens unterschiedliche und mehrere Gründe haben: einerseits durch genetische Veranlagung. Wenn die Eltern eine Depression haben, liegt das Risiko, an einer Depression zu erkranken, bei 15%. Des Weiteren können Stoffwechselerkrankungen wie Schilddrüsenerkrankungen aber auch Stress und Persönlichkeitsmerkmale Depressionen begünstigen. Bei einem Burnout stellt sich dies anders dar: das Burnout entsteht in einem schleichenden Prozess, der über mehrere Phasen entsteht bzw. sich aufbaut (Website www.no-burnout.de). Irgendwann kippt der Verlauf und man gelangt in eine Depression. Freudenberger sprach in Stufe 11 von 12 von einer Depression, heute sprechen wir bereits früher davon. Der Unterschied zwischen einer Burnout Erschöpfung und einer depressiven Erschöpfung stellt sich in folgenden Punkten dar: - In einer Burnout Erschöpfung habe ich noch Ideen, wie ich da wieder rauskommen könnte (z.B. hole mir Hilfe, packe Dinge an, suche Entspannung,), der Depressive hat keine Ideen mehr - Irgendwann bestimmt im Phasenverlauf der Burnoutentwicklung die Eigendynamik und die drei Leitsymptome der Depression nach Dr. Freudenberger, nämlich das Gefühl von Erschöpfung, die Depersonalisierung und die Leistungsminderung, überwiegen. Dann habe ich kein Vertrauen mehr in meine Kompetenz und deshalb auch keine Ideen mehr, wie ich dies alles bewältigen könnte. Sina Schwenninger: Welche Ursachen für einen Burnout hast du in deinen vielen Jahren als Coach denn hauptsächlich erlebt? Norbert Hüge: Burnout entsteht in Folge einer chronischen Stresssituation – d.h. ich bin die ganze Zeit im Stress. Es steht gefühlt ständig ein Säbelzahntiger hinter mir. Ich komme nicht mehr in die Entspannung. Unser autonomes Nervensystem ist immer im Anspannungszustand. Stress entsteht durch die Stressoren – also alles von außen auf uns einwirkt, wie beispielsweise mein Chef, Lärm, Konflikte, Zusatztermine oder die ständige Erreichbarkeit durch die fortschreitende Digitalisierung – und meiner eigenen Komponente, also meine Antreiber / persönliche Stressverstärker wie „Sei perfekt“, „Sei stark“, „Beeil dich“, „Streng dich an“, „Sei vorsichtig“ oder „Mach es allen recht“. Diese gehen in ein Wechselspiel mit den Stressoren. Daraus entsteht eine Stressreaktion die sich mental, körperlich, emotional und vom Verhalten her feststellen lässt. Dauerhaft im Alarmzustand zu sein, bedeutet ständig in der Stressreaktion zu verharren, immer zu kämpfen oder auf der Flucht zu sein. Dann bin ich in der chronischen Überforderung und komme in eine Burnout Erschöpfung und rutsche irgendwann in eine Depression. Hierbei können eben Warnsignale auftreten wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Libidoverlust, Herzrasen, sozialer Rückzug, Gereiztheit, Nervosität, Vernachlässigung von Hobbies, Betäubungsverhalten mit Schokolade, Alkohol oder sogar Medikamenten, Sexsucht, Übertreibung des Sports, die Einnahme leistungssteigernder Substanzen. Sprich es ist eine Veränderung da. Das Schwierige ist für manche Betroffene, dies zu erkennen und dann auch zu akzeptieren. Meistens bemerkt es das Umfeld wie Familie, Kolleg*innen und Freunde schneller als man selbst. Das liegt daran, dass wir Menschen Gewohnheitstiere sind. Wenn sich etwas verändert, bekomme ich es mit, gewöhne mich gleichzeitig aber schnell daran. Wichtig hierbei: es zu erkennen und zu handeln, ist eine wahre Stärke und kein Zeichen von Schwäche! Sina Schwenninger: Wie nimmst du wahr, dass die Diagnose „Burnout und oder Depression“ im Kollegen- und Freundeskreis aufgenommen wird – wird Deutschland hier fortschrittlicher und man kann darüber reden, dass man sich Hilfe holt oder bekommt man nach wie vor den Stempel „der ist nicht belastbar“ aufgedrückt? Norbert Hüge: Ich nehme es sehr unterschiedlich wahr. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns in Deutschland in einer Leistungsgesellschaft befinden, in der sich viele über Leistung definieren (wollen). Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen in Unternehmen ist teilweise da, aber präventiv wird oft zu wenig getan. Woran mache ich das fest? Nur ungefähr jedes 5. Unternehmen in Deutschland führt eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durch, was seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz verankert ist. Wo wenig Kontrolle und keine Konsequenzen, wird eben nicht so genau gehandelt. Es gibt Gott sei Dank auch Unternehmen, die das ernst nehmen und ihre Mitarbeiter entsprechend schulen und Maßnahmen ergreifen. Bei „Burnout“ könnte man ja denken „der hat viel geleistet und ist deshalb ausgebrannt“ – denn er hat ja mal für etwas gebrannt. Depression hingegen wird häufig noch als ein Zeichen von Schwäche gewertet. Aber Depression hängt, wie eingangs bereits gesagt, nicht immer mit Stress zusammen. Viele sagen „der leistet ja nichts, warum ist der krank?“. Und trotzdem gehen Betroffene in Deutschland mit der Diagnose Burnout vorsichtig um, denn das könnte ja bedeuten, man wäre nicht mehr leistungsfähig und belastbar. Ich kenne Beispiele, wo der Arbeitnehmer mit Burnout in eine Klinik geht und dem Arbeitgeber von einem schwierigen Sturz und Beinbruch berichtet. Mit wem man wie offen über die Situation spricht, hängt immer vom Vertrauensverhältnis ab. Je besser das Verhältnis, zum Beispiel zur Führungskraft ist, je eher kann ich auch von meiner Situation berichten. Vielleicht gibt es aber auch einen Betriebsrat, einen Suchtbeauftragten oder eine verantwortliche Stelle für „betriebliches Gesundheitsmanagement“. Sina Schwenninger: Was wären dann die nächsten Schritte, um hier entsprechend gegenzusteuern bzw. wo könnte ich mich auch kurzfristig im Akutfall hinwenden? Norbert Hüge: Hier sollten wir unterscheiden, anhand der Symptome, die der/die Betroffene wahrnimmt. Geht es eher Richtung Depression oder Burnout? Prinzipiell empfehle ich immer zu einem Experten zu gehen, also Facharzt bei Depression oder „Fachberater*in/ Coach Stress und Burnout“ bei einer Stressthematik. Ein Business Coach kann hier in den seltensten Fällen weiterhelfen. Eine umfassend und speziell geschulte Person, ermittelt z. B. über eine Stressdiagnostik, wo der Patient steht, ob man noch mit ihr/ihm arbeiten kann oder er bereits in einer Depression steckt und zu einem Psychotherapeuten sollte. Wenn bei der Stressdiagnostik erkannt wird, dass die Erschöpfung noch nicht so weit fortgeschritten ist, kann man mit Methoden des multimodalen Stressmanagement - kognitive, instrumentelle und regenerative Stressbewältigung - hier großartige Fortschritte und Erfolge erzielen. Ich habe über viele Jahre sehr gute Erfolge mit Klienten in der Burnout Prophylaxe und Bewältigung erzielt. An der MILD Akademie, wo du ja u.a. deine Ausbildung gemacht hast, schulen wir u.a. unser von den Krankenkassen anerkanntes multimodales Stressbewältigungsprogramm. Wichtig ist mir, sich nicht von Titeln täuschen zu lassen. In Deutschland ist z. B. der Begriff „Therapeut“ nicht geschützt und setzt keine medizinische Ausbildung voraus. Sina Schwenninger: Was kann ich präventiv unternehmen, um mich vor einem Burnout bzw. einer Depression zu schützen? Gibt es hier Unterschiede? Norbert Hüge: Präventive Maßnahmen sind bei Burnout einfacher als bei Depressionen, da hier eine genetische Komponente mit reinspielen kann. Am besten man wendet sich hier an einen Arzt. Insgesamt ist es wichtig, auf sich zu achten, Veränderungen wahrzunehmen, für einen Ausgleich neben dem Beruf zu sorgen, Bewegung und Entspannung in den Alltag zu integrieren, Freundschaften zu pflegen, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, nicht alles perfekt machen zu wollen und nicht zu streng mit sich selbst zu sein. Sina Schwenninger: Immer wieder habe ich Klienten, die im Burnout bzw. einer Depression waren und mit Hilfe eines Therapeuten den Weg hieraus gefunden haben. Dann aber fehlt ihnen immer noch einiges, um ihren Alltag gut bestehen zu können. Hier wenden sie sich häufig an Coaches so wie du und ich. Was sind aus deiner Erfahrung die häufigsten Themen, die hier noch bearbeitet werden müssen und wie lange begleitest du diese Klienten noch? Norbert Hüge: Auch hier müssen wir unterscheiden, nämlich wie tief sind die Veränderungen verankert. Dann arbeite ich teilweise ein paar Monate mit den Klienten, anfangs wöchentlich, später mit mehr Abstand. Menschen, die in einer Klinik waren, brauchen oft einen Therapieplatz zur „Nachbetreuung“ und kommen ggf. nach einer Therapie zu mir. Sie spüren vielleicht die Angst, dass sie wieder in ein Loch fallen könnten. Oder aber Menschen, die in einem Burnout waren und feststellen, dass sie in ihrer Bewertung mit „angezogener Handbremse“ fahren. Sie fühlen sich in einer Art Schonhaltung, da sie Angst vor Überforderung haben und möchten gerne wieder in die Balance finden. Sina Schwenninger: Gibt es denn noch etwas Wichtiges, was du zum Ende unseres Interviews unbedingt noch sagen möchtest? Norbert Hüge: Die Dunkelziffer im Bereich psychischer Erkrankungen ist stark ausgeprägt. Allzu oft höre ich, dass ein gebrochenes Bein vermeintlich viel schlimmer ist, als wenn ich „nicht mehr lachen kann“. Das ist natürlich nicht so. Kümmere dich um dich, nimm Warnsignale ernst, reflektiere und schau was ist los und beobachte, was sich vielleicht verändert hat und höre auch mal auf das, was Freunde, Familie und Partner sagen. Und ein Erkennen und Handeln solltest du als Stärke betrachten! Sina Schwenninger: Vielen Dank lieber Norbert für das interessante Gespräch! Norbert Hüge: Sehr gerne!